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 .:Lackprofile aus Nord-West-Deutschland :.

In den letzten 600.000 Jahren bedecken Eis-
massen dreimal Nordeuropa. Von Skandinavien
schieben sich riesige Gletscher über Nord-
deutschland. Auf seinem Weg nimmt das Eis ungeheure Mengen an Felsen, Sand,  Kies,
gefrorener Erde mit sich. In wärmeren Zeiten
schmilzt das Eis ab. Liegen  bleibt der glaziale,
eiszeitliche Schutt. Bei sinkenden Temperaturen
gibt es  wieder neue Eisvorstöße. Als dann vor
etwa 15.000 Jahren das Eis endgültig 
abschmilzt, bedeckt der glaziale Schutt Norddeutschland mit einer 50 - 300 Meter
dicken Schicht, die die Grundlage für die Böden
hier bilden. Beim Abschmelzen sortieren die
 riesigen Wassermassen das Material: große Brocken bleiben bald liegen, feine Sand-
und Lehmteilchen werden weit mitgetragen;
dies führt zu  schichtweisen Ablagerungen.
Nun ist es das Wechselspiel zwischen Sommer
und  Winter, Frieren und Tauen in den Dauer-
frostböden, das für Bewegung sorgt:  Oberflächen-
nah taut der Boden an, Sümpfe entstehen.
Bei Frost dehnt sich das Wasser wieder aus
und drückt nach allen Seiten, die Schichten
werden neu gemischt. Manchmal lässt der
scharfe Frost die Erde aufreißen, Material fällt
nach (siehe Bild links) Später dann verwittern die Böden; Humus bildet sich.
 

Sickerwasser nimmt die zersetzten Bodenbestand-
teile mit sich, hier ist es vor  allem das Eisen, das
zusammen mit Sauerstoff oxidiert. Dort, wo das
Sickerwasser eine Weile stehen bleibt, bilden
sich rotbraune Streifen in den Profilen aus.

.:: der richtige Moment ::.

Dieses Wechselspiel von Schichten und
Farben ins Bild zu setzen, hat sich Rainer
Sieverding verschrieben. Im  Weser-Ems-
Gebiet kennt Sieverding fast alle Sandgruben.
Er fährt sie regelmäßig ab, um im richtigen
Moment am richtigen Ort zu sein. Haben die
Bagger gerade interessante Strukturen freigelegt,
beginnt Sieverdings Arbeit. Doch bis hierhin ist
es ein langer Weg. Sein Interesse am Boden ist
ihm nicht in die Wiege gelegt. «Wer hier in
Norddeutschland groß wird, hat erst einmal keine
Beziehung zum Boden, da die Vegetation alles
bedeckt». Einige Zufälle bringen Sieverding für 5
Jahre als Lehrer an eine deutsche Schule nach
Chile. Auf seinen Reisen durchs Land lernt er auch
die Atacama-Wüste mit ihren wilden Stein-
formationen und verwitterten Böden in allen
Farben und Formen kennen. Diese Reisen
hinterlassen starke Eindrücke bei Sieverding.
Jahre später, zurückgekehrt nach Norddeutschland,
sieht er beim Besuch einer nahegelegenen
Ziegelei dann erstmals präparierte Bodenprofile
der heimatlichen Böden. Dies ist der Ausgangspunkt
für Sieverdings Boden-Bilder. In über 20 Jahren
hat er mehr als 300 Lackabzüge von Bodenprofilen
zu faszinierenden Bildern verarbeitet.
 

 : der Lack ist ein Geheimnis : .

Entdeckt Sieverding bei seinen Rund-
fahrten ein Profil, legt er es mit Kelle
und Spaten sauber frei. Wichtig ist es,
eine plane Oberfläche zu erhalten. Der
 gewählte Bildausschnitt wird grob abgesteckt. Nun sprüht Sieverding
einen schnell abtrocknenden Präparationslack in den Sand. Hier hat
er durch seine langjährige Erfahrung
eine spezielle Technik entwickelt. Über
den verwendeten Speziallack verrät er
nichts. In weiteren Arbeitsgängen wird
der Lack dann mit dem Pinsel aufgetra-
gen und eine "Verbandsgaze" zur
Stabilisierung eingearbeitet. Je nach
Witterung ist der Lack nach 2 bis 3
Stunden soweit getrocknet, dass das
Bild von der Wand abgezogen werden
kann.
 

Aufgerollt und nach Hause gebracht findet nach einigen Tagen des Aushärtens die Nachbearbeitung statt. Das Lackprofil, das nach und nach seine Feuchtigkeit und damit die ursprüngliche Intensität der Farben verliert, wird auf eine Holzplatte aufgezogen. Durch eine Behandlung der Vorderseite mit einer Lackmischung stellt sich die ursprüngliche Farbe wieder ein. Für jedes seiner Bilder, die Maße von bis zu 1,2 x 2,2 Metern erreichen, baut Sieverding die Rahmen in der eigenen Werkstatt.

Mittlerweile wurden seine Lackprofile in mehr als 20 Ausstellungen gezeigt. Doch als Künstler bezeichnet sich Sieverding nicht: «Ich habe sie gesucht, den Blickwinkel bestimmt, den Ausschnitt festgelegt - aber ich habe diese Bilder nicht geschaffen»

(Das Gespräch führte Ingo Valentin
am 13. Juli 2001 für www.bodenwelten.de)